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Tristan Brusch: Am Anfang (Review)

Artist:

Tristan Brusch

Tristan Brusch: Am Anfang
Album:

Am Anfang

Medium: CD/LP/Download
Stil:

Songwriter-Pop, Chanson, Indiepop, Deutschpop, Liedermacher, Gitarrenpop, Barock-Pop, Sophisticated-Pop

Label: Wasser & Licht/Sony
Spieldauer: 43:23
Erschienen: 24.10.2025
Website: [Link]

Am Anfang war der Kies auf dem Fahrradweg. Wenn Du schnell genug fährst, hört er sich an wie Applaus. Wie das Leben selbst, das einem noch Beifall klatscht, obwohl man längst in die falsche Richtung tritt."

Diese Sätze eröffnen die 'Liner-Notes' von TRISTAN BRUSCH zu seinem neuen Album "Am Anfang", und er hat sie für die Vinyl-Ausgabe nicht wie sonst meist üblich irgendwo in der Innenhülle versteckt, sondern gut lesbar auf der Platten-Rückseite abdrucken lassen. Zu Recht. Denn BRUSCH ist nicht nur in diesen melancholischen Gedanken zu seinen zwölf neuen Liedern ein Meister des Wortes. Ja, es gibt derzeit in Deutschland keinen herausragenderen Pop-Poeten als diesen in Gelsenkirchen geborenen, seit langem in Berlin lebenden "Liedermacher". Und "Am Anfang", das dem Titel zum Trotz das Ende einer Albumtrilogie markiert, ist sein Opus magnum. Ein Deutschpop-Meisterwerk.


Wild, mutig, schmerzhaft ehrlich, rätselhaft, unheimlich, brutal - so wird die Musik von TRISTAN BRUSCH gern beschrieben. Und irgendwie stimmt das auch alles, ob dieser 37 Jahre alte Singer-Songwriter nun seine intensiven, oft tragischen Liebeslieder anstimmt oder vertonte Nostalgie oder manisch-düstere Mörderballaden wie "Am Herz vorbei" - bis hin zu den allerletzten Dingen in der zu Tränen rührenden Abschieds-Elegie "Baggersee" (die beiden letzteren vom auch schon fabelhaften Vorgängeralbum "Am Wahn").


Tatsächlich kann derzeit hierzulande wohl kein anderer Songschreiber und Komponist so virtuos mit Gefühlen (den eigenen und denen seiner Zuhörer) spielen, ohne die Kitsch-Grenze zu überschreiten. Er macht manchmal allerdings erst sehr kurz Halt vor dieser künstlerischen No-Go-Area, hinter der der Schlager lauert, Das sollte man wissen, wenn man sich den Liedern von TRISTAN BRUSCH erstmals nähert, wie das jetzt, durch das bereits einhellig bejubelte "Am Anfang", hoffentlich immer mehr Hörer tun werden.

Mit dem neuen Album bringt Brusch, wie schon angesprochen, seine "dunkelromantische Trilogie" zu Ende - indem er sich inhaltlich rückwärts bewegt hat, von den noch eher gegenwärtigen Texten des Durchbruch-Werks "Am Rest" (2021) über die (zum Glück) fiktiven, abgründigen Moritaten von "Am Wahn" (2023) hin zu den aktuellen Reflexionen über Kindheit, Jugend, Jungmänner-Zeit und alles, was damit zu tun hat. Vor allem, immer wieder: die Liebe, auch und gerade die toxische und die scheiternde, Sehnsucht, Verlust von Unschuld und Naivität, Gnade und Vergebung, Romantik und Herzschmerz.

"Ja, also wenn "Am Rest" ein eindeutiges Trennungsalbum ist und "Am Wahn" beschreibt, wie man in einer wirklich sehr ungesunden Beziehung tief drinsteckt, dann versucht vielleicht "Am Anfang", so ein bisschen sich der Frage anzunähern: Wie ist man überhaupt dahin gekommen? Warum lässt man sich überhaupt auf so was ein? Warum bin ich so bekloppt, wie ich halt bekloppt bin?", sagt TRISTAN BRUSCH im Interview des rbb-Sender Radioeins.


"Wir sind geboren, um zu sterben/Und es gibt auf dieser Erde/Genau zwei Dinge zu lernen/Lieben und geliebt zu werden" (aus "Geboren um zu sterben" vom neuen Album): Das ist typische, den Kitsch so gerade noch vermeidende BRUSCH-Lyrik, mit der dieser Pop-Spätstarter nach fast 20 Jahren im Künstler-Prekariat tatsächlich in die Fußstapfen eines Udo Jürgens (des anspruchsvollen Chansonniers!) tritt und sich, wenn man auf die jüngere deutsche Songschreiber-Szene blickt, auf Augenhöhe mit Niels Frevert, Gisbert zu Knyphausen und Jochen Distelmeyer befindet.

Und was für fabelhafte Lieder hat TRISTAN BRUSCH da für "Am Anfang" wieder geschrieben und eingespielt! Der Opener "Grundsolider Schläger" über verdrängte Suchtgefahren  ("Mach Dir um mich bloß keine Sorgen, Tristan...") und das abschließende, traurig bilanzierende "Tristan und Elise" bilden die durch den Vornamen des Musikers vorgegebene Klammer einer Songsammlung, die wieder alles aufbietet, was ein Brusch-Album der "Am..."-Reihe ausmacht: oft atemberaubende Streicher-Opulenz (die Tracks ist allesamt produktions- und arrangementtechnisch großes Kino), Gefühlstiefe, Sentimentalität, schockierende Selbstbezichtigung ("Ich weiß, Du hast das nicht verdient/Es tut mir leid, dass Du so liebst/Nein, wirklich nicht jemand wie mich/Jemand wie mich, der Dich zerbricht....", aus dem zentralen Stück "Danke, dass Du nicht aufhörst mich zu lieben").


Man kann beim Durchhören von "Am Anfang", wie bei den Vorgängerplatten auch, immer wieder neue Lieblingslieder entdecken. Etwa den treibenden Gitarrenpop von "Vierzehn" sowie anschließend "Wasser und Licht" und "Am Ende" - direkt hintereinander drei Deutschpop-Songs für die Ewigkeit. Oder "Die Liebe in Maßen" und "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", in denen BRUSCH komplizierte Themen musikalisch federleicht umsetzt, fast im Stil eines Paddy McAloon (Prefab Sprout) oder im Easy-Listening-Modus eines Burt Bacharach.


"Das ist ja ein Trick, den ich gerne mache - einen ganz schweren Text mit einer Leichtigkeit verbinden. Das gefällt mir gut", sagt BRUSCH im Radioeins-Interview. "Das war bei 'Baggersee' das Gleiche. Das ist ja eigentlich ein tanzbares Schlager-Stückchen, das darüber geht, wie jemand stirbt. Und 'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' ist ein leichtes, locker-flockiges Pop-Stückchen über Jugendliche, die drogenkrank sind. Es berührt mich einfach mehr, wenn gleichzeitig eine Leichtigkeit in der Schwere zu finden ist, dann kriegt die Schwere mehr Schwere, und es eröffnet sich eine neue Dimension."


Wurde hier schon erwähnt, dass TRISTAN BRUSCH neben Texter-Talent im Überfluss auch noch eine wunderbare Singstimme besitzt, einen warmen, variablen Bariton, der mich an Chris Isaak ("Grundsolider Schläger" ist quasi eine Hommage an "Wicked Game" von dem etwas in Vergessenheit geratenen US-Kollegen), Neil Hannon (The Divine Comedy), Jacques Brel oder Benjamin Biolay erinnert? Dass der Wahl-Berliner ein toller Gitarrist und Pianist ist? Dass "Am Anfang" durch die superbe Produktion von Olaf O.P.A.L. sowie Gastauftritte von Arnim Teutoburg-Weiß und Veronika Hahn zusätzlich punkten kann? Und dass BRUSCH selbstverständlich auch ein herausragender Live-Performer ist, wie er gerade erst Ende Oktober beim Release- und Radio-Konzert im Berliner rbb-Sendesaal bewies?

FAZIT: "Am Anfang war die Welt noch weich genug, um sich hinzulegen", schreibt TRISTAN BRUSCH zum Abschluss seiner eingangs erwähnten "Liner-Notes" für dieses grandiose Erinnerungsalbum. Und dann, ganz pragmatisch, als Label-Betreiber: "In dieser Platte steckt viel Liebe, von vielen Menschen. Danke, dass du sie gekauft hast! Du hast damit mehr als ein Stück Musik gekauft: die Behauptung, dass Musik auch 2025 noch etwas wert ist" - diese handgeschriebenen Worte sind der Vinyl-Ausgabe ebenfalls beigefügt. Dem kann man nur zustimmen. Kein Zweifel - der Titel für das beste deutschsprachige Album des Jahres 2025 ist vergeben. Diesem "Am Anfang" wohnt ganz viel Zauber inne.

Werner Herpell (Info) (Review 107x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • Grundsolider Schläger
  • Haifisch
  • Vierzehn
  • Wasser und Licht
  • Am Ende
  • Danke, dass du nicht aufhörst mich zu lieben
  • Geboren um zu sterben
  • Die lange Nacht
  • Die Liebe in Maßen
  • Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
  • Heiliges Land
  • Tristan und Elise

Besetzung:

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